Archive for abril, 2008

OECD: die öffentliche Entwicklungshilfe der Schweiz stagniert (-3% 2007 gegenüber Vorjahr)

Die Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) hat in Paris die aktuelle Entwicklungshilfestatistik veröffentlicht. Daraus geht hervor, dass die von der Schweiz geleistete Entwicklungshilfe knapp rückläufig ist. 2007 betrug sie 0.37% des Bruttonationaleinkommens (BNE).

Die Schweiz liegt im Vergleich mit anderen Staaten zusammen mit Deutschland im Mittelfeld. Frankreich und Österreich geben etwas mehr Gelder in die Entwicklungshilfe, liegen jedoch immer noch deutlich unter dem UNO-Ziel von 0.7 Prozent.

Nur Norwegen, Schweden, Luxemburg, Dänemark und die Niederlande übertrafen mit ihrer Entwicklungshilfe das UNO-Ziel von 0,7 Prozent des BNE.

* * *

Bis am 15. Mai kann die Petition «0,7 Prozent – Gemeinsam gegen Armut» unterstützt werden. In einer Petition wird Bundesrat und Parlament aufgefordert, sich als eines der reichsten Länder der Welt mehr zu engagieren. INTERTEAM unterstützt diese Kampagne.

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viernes, 4. abril 2008 at 9:58 am

Rückblick nach 1 Jahr im nicaraguanischen Arbeitsprozess

Liebe Familie, Freunde und Bekannte

Ein Weilchen ist es nun her, als wir uns zuletzt gesehen haben. Dezember 2006 und einige Tage im folgenden Jänner. Wir haben darüber gesprochen, was mich nach Lateinamerika zieht, warum ich mich in der Entwicklungszusammenarbeit engagieren will, warum ich als privilegierter Mensch, der nie Hunger leiden musste und sowohl sozial wie materiell immer gut versorgt wurde, meinen Anteil leisten will.. Und zusammen haben wir im Atlas Karten von Nicaragua studiert und geschaut, wo es denn liegt, dieses Estelí. Die Stadt mit über 100’000 Einwohnern im zweitärmsten Land Lateinamerikas. Am 14. Januar 2007 war es dann soweit: Abschied und mit einem Arbeitsvertrag für drei Jahre in der Tasche gings an den Flughafen. Keine 20 Stunden später holte mich der Landeskoordinator von INTERTEAM am Flughafen in Managua – der Hauptstadt Nicaraguas – ab.

Wurzeln geschlagen

Mittlerweile habe ich Wurzeln geschlagen. Noch sind sie frisch und bedürfen Pflege. Geben mir Halt und eine gewisse Sicherheit in diesem nicht mehr ganz so fremden Land. Auf eine gewisse Art stellen sich Alltag und Routine ein. Kulturelle Unterschiede geraten in ein anderes Licht. Stolpere nicht weniger – jedoch öfters über meine eigenen Wurzeln, über die alten und die neuen. Es ist ein ständiger Prozess zwischen bewahren der eigenen Vorstellungen und Werte sowie dem Lernen und Aufnehmen von andersartigen Denk- und Handelsweisen. Auf der Suche nach der optimalen Mischung.

Die ersten Monate für Sprache und Kultur

Entwicklungszusammenarbeit steht im Zeichen des Austauschs zwischen Menschen des Nordens und des Südens. Dazu braucht es nicht nur Sprachkenntnisse, sondern auch die Auseinandersetzung mit der Geschichte und der Kultur. Ein Bier in der fremden Sprache bestellt, nach dem Weg gefragt, Eiger, Wetterhorn und Mettenberg gezeigt – das ist schnell erlernt. Aber um den Alltag zu meistern und in den Arbeitsprozess einzusteigen, bedarf es etwas mehr. Die fast drei Monate Sprach- und Kulturschule in León haben mir den Einstieg vereinfacht. Lernen tue ich nach wie vor, und unter uns gesagt: wenn im nicaraguanischen Freundeskreis Witze erzählt werden, lache ich tapfer mit – verstanden habe ich aber noch selten etwas…

Internetcafés an jeder Strassenecke…..

Bereits in den ersten Wochen fiel mir auf, dass es in Nicaragua nur so an Internetcafés (Ort, wo man gegen Gebühr einen Computer mit Internetzugriff benutzen kann) wimmelt. Das war ganz praktisch und so konnte ich – entgegen ersten Befürchtungen – problemlos mit Familie und Freunden in der Schweiz kommunizieren. Aber es hat mich auch verwundert, weil ein Teil meines Auftrags „Unterstützen beim Aufbau und Betrieb von Internetcafés in Nicaragua“ lautete. Nach einiger Zeit merkte ich aber, dass die Kultur- und Touristenstadt León nicht repräsentativ für ganz Nicaragua ist… und dass es bereits einige Kilometer ausserhalb der Städte ganz anders aussieht.

Zweiklassengesellschaft

In Nicaragua ist die Zweiklassengesellschaft deutlich sichtbar: man hat, oder man hat nicht. Und zwar primär Geld, aber als Folge davon Wasser, Essen, Kleider, Strom, Haus, Bildung, Ärztliche Versorgung, Kleider – und nicht zuletzt: Rechte. Prächtige Häuser mit Umschwung grenzen direkt an Barackenquartiere, oft liegt nicht einmal eine Strassenbreite zwischen arm und reich. Und je weiter weg von der Stadt, desto einfacher sind die Lebensverhältnisse, desto kleiner das Angebot. Sehr wenige Nicaraguaner besitzen fast alles, die grosse Masse der 5 Millionen Einwohner hat wenig oder gar nichts. Ein Mittelstand wie wir ihn kennen existiert nicht, d.h. Mittelstand in Nicaragua bedeutet, über die Runden zu kommen, aber mehr nicht. Und die Schere zwischen arm und reich nimmt ständig zu.

Für diese zweite Klasse setzen wir uns ein

Und für einen Teil dieser zweite Klasse, Menschen im Norden Nicaraguas welche wenig oder keinen Zugang zu Bildung und Informationen haben, engagiert sich mein lokaler Arbeitgeber ASDENIC. Die nicht staatliche Organisation ist hauptsächlich in den Bereichen Ernährung und Ausbildung tätig. Zusätzlich wird ökologischer Tourismus gefördert. Dies ebenfalls mit dem Grundgedanken, Menschen in der Region eine Arbeits- und Verdienstquelle zu öffnen. Im April 2006, also vor einem Jahr, habe ich mit der Arbeit begonnen. Mit dem Tourismus habe ich nur am Rand zu tun. Drei Tage in der Woche arbeite ich im „Parque de Ciencia“, die restliche Zeit im Informations- und Kommunikationszentrum. Gegenwärtig bin ich mit der Prozessbegleitung für die Erarbeitung der Gesamtstrategie ASDENIC beauftragt.

Kulturelle Unterschiede und für einmal bin ich der Ausländer

Also das mit dem „Arbeit aufnehmen“ im April vor einem Jahr, das war natürlich keine Sache von heute auf morgen. Vom Gletscherdorf nach Kloten ist es ein Katzensprung und mit dem Flugi ist man nicht viel später auch schon im fremden Land. Aber bis man die fremde Kultur versteht und sich selbst verstanden fühlt, braucht es Durchhaltewille und eine Portion positiven Denkens. Auf die Akzeptanz meiner neuen Arbeitskollegen musste ich warten, auf einige wenige warte ich immer noch. Aber dank intensiver Vorbereitungskurse durch INTERTEAM war ich auf diese und andere Schwierigkeiten gefasst. Und auch ich habe mich an einige Personen und Dinge herantasten müssen. Die kulturellen Unterschiede sind manchmal ganz klar, oft aber erst auf den zweiten oder dritten Blick erkennbar. Und vieles (das meiste?) bleibt mir auch heute noch verborgen. Ein typisches Beispiel? Das lateinamerikanische „ja“ hat viele Bedeutungen, und kann durchaus ein klares „Nein!“ sein. Meistens bedeutet es „mal sehen, gut möglich“. Das war vor allem am Anfang schwierig, damit umzugehen. Mit meinem kulturellen Hintergrund fühlte ich mich angelogen, wenn man mir ja sagte und nein meinte. Dabei ist es einfach für viele Menschen hier schwierig, nein zu sagen, Kritik direkt zu äussern, offen eine andere Meinung zu vertreten. Auch Konflikte werden selten ausgetragen, sondern eher umschifft, bis sie von selber verschwinden. Mittlerweile weiss ich besser damit umzugehen, höre auch auf Körpersprache. Betonung und andere Zeichen. Einige male habe ich das „nein“ so schon gesehen – auf den dritten Blick halt. Aber es ist auch schon vorgekommen, dass wir eine Sitzung für den kommenden Tag abgemacht haben; mir war klar, ein deutliches „nein“ aus den Gesichtern gelesen zu haben, dass folglich niemand erscheinen wird. Und so war ich es, der nach dem Mittagessen noch etwas erledigen ging und später ins Büro kam. Mit grossen Erstaunen und Scham, weil das Team bereits eine halbe Stunde auf mich wartete… Tja, das war peinlich; ich muss zu meiner Entlastung aber erwähnen, dass es deutlich mehrere Fälle gegeben hat, dass ich vergebens auf die Teilnehmer gewartet habe. Heute nehme ich jeweils eine aktuelle Arbeit mit, so dass ich mich beim Warten beschäftigen kann. Wichtig ist, dass ich nicht ins gleiche Fahrwasser falle, sondern meine Werte Pünktlichkeit und Verlass weiterpflege. Denn nur predigen, aber selber nicht danach leben, das funktioniert auch in Nicaragua nicht. Und ein bisschen „Vorbild“ sein ist schliesslich auch ein Element in der Entwicklungszusammenarbeit.

Für einmal bin ich der Ausländer im fremden Land. Die Erfahrungen werden mir im Umgang mit Ausländern in der Schweiz sicher helfen, zum Beispiel im Verständnis und Toleranz der Andersartigkeit. Und: nicht alles, was anders ist, ist auch schlechter!

(Warmes) Wasser, Strom und Internet

Ich habe in Nicaragua einige „Selbstverständlichkeiten“ zu schätzen gelernt. Zu oberst auf der Liste stehen Wasser, Strom und die Verbindung zum Internet. All dies habe ich hier in Estelí mit für Nicaragua wohl überdurchschnittlicher Verfügbarkeit, und dennoch nicht immer. Wasser zum Beispiel. Seit einiger Zeit jogge ich auch hier regelmässig, morgens (6.00 Uhr), das weckt nachhaltig. Das erste Mal als ich – schweissgebadet – nach Hause kam und es kein Wasser hatte, hatte ich schon Mühe. Ich bevorzuge nach wie vor die Luxusvariante Warmwasserdusche, aber mittlerweile beherrsche ich auch die Alternative „Einhändig Duschen aus den vorgängig gefüllten Pet-Flaschen“.

Stromausfälle sind lästig; da ein grosser Teil meiner Arbeiten auf dem Computer entsteht und dort abgespeichert ist, muss ich in diesen Fällen besonders umdenken. Was mir nicht immer gelingt. Mit dem Internet dasselbe, in der Regel steht die Verbindung zur Aussenwelt in relativ guter Qualität (100 – 150 Kbit/s) zur Verfügung. Ab und zu nicht. Das Umdenken erfolgt auf zwei Ebenen:

1. Nichts ist planbar. Sehr wahrscheinlich hat es, eventuell auch nicht…
2. Wenn Strom/Wasser/Internet ausfällt, weiss niemand wie lange. Und sicher nicht, warum.

Eine Ausnahme bilden die Stromrationierungen gegen die Versorgungsknappheit. So wurde während Monaten in einigen Barrios (Quartieren) täglich während 6 Stunden der Strom abgestellt, weil die Gesamtstromproduktion Nicaraguas die Nachfrage nicht decken kann. Dies ist für die Betroffenen nicht nur umständlich, sondern teilweise auch existenzbedrohend.

So hatte zum Beispiel Marvin, ein Schreiner, während zwei Monaten jeweils nur nachmittags ab 14.00 Uhr Strom. Und musste seinen Kleinbetrieb mit Angestellten über die Runden bringen, indem energielose Arbeiten am Vormittag durchgeführt wurden. Sägen, Bohren, Schleifen etc. lag während dieser Zeit nur von Hand drin.

Und einmal mehr: wer es sich leisten konnte – und das ist die Ausnahme – stellte einen kleinen Dieselgenerator vor die Türe um die wichtigsten Elemente zu betreiben.

Entwicklungszusammenarbeit …. „Bringt es etwas?“

Um es auf den Punkt zu bringen: ja, es bringt etwas. Aber die Früchte des Einzelnen sind klein und schwierig aufzuzeigen. Wenn ich in einigen Jahren Nicaragua wieder verlassen werde, wird das Land nicht viel davon merken. Aber ich bin nach wie vor überzeugt, dass die Menschen, mit welchen ich im Alltag zu tun habe, ein Bild mitnehmen. Dass die Organisationen, für welche ich arbeite, am einen oder andern Ort einen Lernschritt machen. Und das ein klein wenig hängenbleibt. Was dieses Land in den letzten Jahrzehnten an Misserfolgen erleben musste (Diktaturen, Revolution und Bürgerkrieg, Naturkatastrophen, Korruption, mangelhafte Schulbildung, Frauen- und Kinderrechte, …) prägt die Menschen. Veränderung geschieht nicht von heute auf morgen.

Es ist einfach, die Hand in den Schoss zu legen und über die geringen, wirtschaftlich kaum messbaren Resultate der Entwicklungsgelder zu lästern. Ich habe mich dafür entschieden, einen Teil dazu beizutragen. Und – Gott sei Dank – gibt es noch einen ganzen Haufen anderer, die anpacken. Sei es auf politischer Ebene oder eben direkt vor Ort. So tragen wir ein einzelnes Mosaiksteinchen bei, um das Gesamtbild, die Lebenssituation der Menschen im Süden, ein Bisschen zu verbessern.

Herzliche Grüsse aus Nicaragua

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Adi

jueves, 3. abril 2008 at 10:04 am


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